Dienstag, 27. September 2016

Ludwig Feuerbach "Das Wesen des Christentum"

Endlich ist sie da:
Die Analyse von Ludwig Feuerbachs "Das Wesen des Christentum"
Entschuldigt bitte, dass ich solange gebraucht habe, viel Freude und Nachdenken damit ;)



Analyse Ludwig Feuerbachs „Das Wesen des Christentum“
Dritte Auflage, Wiegand 1849
Veröffentlicht durch den Anaconda Verlag, Köln, 2014

1 Zum Autoren
2 Seine Hauptthesen
3 Struktur
4 Einordnung und Gegenargumentation

1 Zum Autoren
Ludwig Feuerbach (1804-1872) war ein berühmter und auf viele andere Autoren einflussreicher Philosoph, Autor und Religionskritiker des 19. Jahrhunderts.
Bekannt geworden ist er vor allem durch sein Werk „Das Wesen des Christentum“.
Er führt darin aus, welche innere Kritik man dem Christentum und seiner Glaubenssubstanz sowie seinen Ausprägungen machen muss (aus seiner Sicht).
Durch die Ideen des sogenannten „Vormärz“ beflügelt, machte er sich Anfang der 1840er Jahre konkret daran, seine Religionskritik zu entwickeln.
Grundgedanken hierzu kann man aber bereits Anfang der 1830er Jahre erkennen.
Er stand philosophiegeschichtlich in der Linie der Aufklärung, allerdings war seine Religionskritik nicht institutionell (z.B.  Kirche) und/oder personenorientiert (eigene Unmündigkeit, Immanuel Kant), sondern vielmehr auf den inneren Sinngehalt der Religion und die Psychologie des Menschen konzentriert.
In diesem Zusammenhang ist es wohl ganz interessant, dass seine Arbeit einigen Einfluss auf Dr. Sigmund Freud hatte.

2 Seine Hauptthesen
Für Ludwig Feuerbach ist das was allgemeinhin als „Theologie“ bezeichnet wird eigentlich „Anthropologie“. Er begründet dies damit, dass der Mensch, wenn er versucht mit Gott Kontakt aufzunehmen, eigentlich zu sich selbst, zu seinen inneren Wünschen, Hoffnungen, Freuden, Fehlern, Begrenztheiten, usw. Kontakt aufnimmt.
Diese Hauptthese ist vielen unter dem Begriff „Projektionshypothese“ bekannt. Damit ist (nach Feuerbach) gemeint, dass der Mensch die angesprochenen Aspekte auf ein höheres Wesen „projiziert“, das aber letztlich er selbst ist.
Feuerbach bewertet dies negativ.
Er sieht darin eine Kompensation des Menschen aufgrund seiner (biologischen und evolutionären) Grenzen. [Feuerbach bringt seine Schrift in einer Zeit heraus, in der die (Natur-)Wissenschaften einen großen Sprung nach vorne machen und viele ehemalige Geheimnisse der Welt erklären]
Für ihn braucht es keinen Gott, der Verstand des Menschen reiche völlig aus.
Ein Aspekt, der Feuerbach besonders beschäftigt, ist der Aspekt der Moral.
Seine Gotteskritik bezieht sich vor allem auf Gott als moralisches Wesen, das durch die vorgegebene Moral den Menschen abhängig von Gott mache.
Legt man aber die Prämisse Feuerbachs zu Grunde, dass Gott eigentlich ein vom Menschen erschaffenes Wesen ist, so könne man daraus auch schlussfolgern, dass das, was vom Menschen als „Gott“ bezeichnet wird, vom Menschen abhängig sei und nicht umgekehrt.
Somit ist auch jede göttliche Moral eigentlich eine menschliche Moral und kann vom Menschen dementsprechend auch verändert und ihm nicht aufgezwungen werden.
Feuerbach fasst es selbst folgendermaßen zusammen:
„Das Wissen des Menschen von Gott ist das Wissen des Menschen von sich, von seinem eigenen Wesen“ (S. 406).

3 Struktur
Grundsätzlich teilt sich Feuerbachs Schrift in zwei Teile:
„Das wahre, d.i. anthropologische Wesen der Religion“ und „Das unwahre, d.i. theologische Wesen der Religion“.
Er nimmt also prinzipiell eine positive und negative Definition vor, sagt was Religion sei und was sie nicht sei.
Neben seinen Grundgedanken zum Wesen des Menschen und der Religion im Allgemeinen „frühstückt“ er die theologischen Hauptmotive des Christentums ab (Dreieinigkeit, Auferstehung, Eschatologie, etc.).
Er spricht in seinen Unterkapiteln von „Geheimnissen“ (beim ersten Teil) und von „Widersprüchen“ (beim zweiten Teil).
Er zieht zwar immer wieder kirchengeschichtliche Aspekte mit hinein, bleibt aber alles in allem auf einer dogmatischen Ebene.

4 Einordnung und Gegenargumentation
Ludwig Feuerbach sieht den Menschen auf „Platz Eins“.
Da Gott ein vom Menschen erdachtes bzw. „projiziertes“ Wesen ist, ist der Mensch der Urheber und letzte Entscheider.
Eine erste Problematik, die ich hier sehe (ohne direkt den Gottesbezug hinzuzunehmen) ist die, dass es für Feuerbach scheinbar nichts außerhalb der menschlichen Existenz gibt [in diesem Kontext nicht naturwissenschaftlich gemeint, sondern philosophisch, spezifischer: metaphysisch].
Darüber hinaus ist es so, sowohl in einem metaphysischen als auch weitestgehend naturwissenschaftlichen Sinne, dass der Mensch seine eigene Existenz nicht aus sich selbst heraus erschaffen kann. In der Theologie bezeichnet man dies als unverfügbare Sinnbedingungen menschlicher Existenz.
Allein das sollte zumindest Zweifel an der Prämisse Feuerbachs aufkommen lassen.
In diesem Kontext zeigt sich, dass Feuerbach bei seinen einbezogenen Parametern auch fast gänzlich in Raum und Zeit denkt. Diese Informationen hatte Feuerbach im 19. Jahrhundert zwar noch nicht, aber selbst die moderne Physik geht heutzutage ganz selbstverständlich davon aus, dass es Existenz(en) außerhalb der unser aller bestimmenden Parametern Raum und Zeit gibt und diese eine enorme Wirkung auf Existenz(en), die auf Raum und Zeit basieren, haben kann (Beispiel schwarze Löcher).
Nun soll auf die konkrete Kritik Feuerbachs am biblischen Gott eingegangen werden.
Ludwig Feuerbach soll an dieser Stelle zunächst einmal das Lob zukommen, dass er durchaus gute Kenntnisse vom biblischen Gott hatte. An verschiedenen Stellen stützt er seine Argumentation mit entsprechenden biblischen Stellen.
Auf den zweiten und genaueren Blick zeigt sich aber, dass Feuerbach von einem ziemlich karikierten und schemenhaften Bild des biblischen Gottes ausgeht.
Unausgesprochen steht bei ihm ein biblisches Gottesbild zugrunde, dass Gott als „komplett definiert“ und „durchschaut“ aufzeigt.
Aus seiner Bibelstudie hat er offensichtlich ein klares Gottesbild erhalten.
Daran ist zunächst einmal auch nichts auszusetzen, denn durch die Bibel wird ja schließlich auch ein bestimmtes Gottesbild vermittelt, das zu einem christlich-jüdischen Gottesbild geführt hat.
Allerdings kommt bei Feuerbach der biblische Gedanke zu kurz, dass Gott auch immer ein bisschen der andere bleibt. Gott zeigt sich zwar in der Geschichte (zuerst dem jüdischen Volk und dann in und durch Jesus Christus), kann aber beileibe nicht als „komplett definiert“ bezeichnet werden.
Er bleibt immer auch irgendwo ein Geheimnis, das mit rein menschlichen Attributen nicht zu fassen ist.
Damit entzieht er sich dem Menschen aber nicht, sondern es gehört vielmehr ganz selbstverständlich zu dem Wesen Gottes, mit dem er an die Menschen herantritt.
Bei Feuerbachs Kritik, dass der Mensch in Gott auch und vor allem seine eigenen Fehler und Begrenztheiten projiziert, klammert Feuerbach meiner Meinung nach das pointierte „Schöpfer-Geschöpf-Verhältnis“ aus, so wie es in der Bibel angelegt ist.
Er bleibt auf einer für mich zu reinen psychologischen Ebene und grenzt dieses theologische Motiv als solches zu sehr aus.
Eine weitere Problematik, die vielleicht auch dem Umstand geschuldet ist, dass die Bibel im 19. Jahrhundert noch zu wörtlich und direkt genommen wurde, ist die des wörtlichen Verstehens der biblischen Symbolsprache.
Aus einer vielleicht metaphorisch bzw. bildlich-symbolisch gemeinten Bibelstelle heraus beginnt Feuerbach häufig seine Argumentation.
Allerdings sei an dieser Stelle betont, dass ich ebenfalls ohne moderne Bibelwissenschaften vielleicht ähnliche Probleme mit der stark symbolischen Sprache der Bibel zu kämpfen hätte.

Wie einseitig Feuerbachs zuweilen ist, (nicht gänzlich als Kritik an Feuerbach gemeint, sondern auch einfach logisch, weil er ja in eine bestimmte Richtung argumentiert und lenken will) möchte ich an ein paar Beispielen deutlich machen:

Zum Ende seines sechszehnten Kapitels geht er u.a. auf die Wunder Jesu ein und wie der Mensch dadurch eigentlich nur die gewünschte Allmacht in einen besonderen gottesnahen Menschen wie Jesus projiziert.
An dieser Stelle sei aber nun festgehalten, dass Jesus in den Evangelien nicht nur der starke Wundermacher und Heiler ist und pausenlos mit der Allmacht Gottes rumwerkelt, sondern Jesus erscheint, nicht nur, aber vor allem am Kreuz, als ein ohnmächtiger Mensch. In diesem Punkt sind die biblischen Zeugnisse des Lebens und der Kreuzigung Christi (nach moderner Bibelwissenschaft) nah an der historischen Wirklichkeit.

Im neunzehnten Kapitel erläutert Feuerbach, dass Gott eins mit den Interessen des Menschen sei und „Gott ist die meinen Wünschen und Gefühlen entsprechende Existenz: er ist der Gerechte, der Gütige, der meine Wünsche erfüllt“ (S. 315).
Der biblische Gott wiederrum erfüllt aber sehr oft nicht die Wünsche des Menschen. Es zeigt sich nicht einfach eine Formel á la „gottgefälliges Leben = erfüllte Wünsche“, sondern oft bleibt der Mensch verständnislos zurück und kann sich die Abkehr Gottes von ihm nicht erklären (auch bekannt als Theodizee-Problem).
Stark pointiert kommt dies natürlich im Buch Hiob zum Tragen.

Im siebenundzwanzigsten Kapitel behauptet Feuerbach: „Gott hat sich für den Menschen geopfert, dafür muss sich jetzt wieder der Mensch Gott opfern […] Je mehr etwas dem Menschen, der Natur widerspricht, je größer die Selbstverleugnung, desto größer auch die Tugend.“ (S. 454)
An dieser Stelle kann ich wohl mit klarer Stimme sagen, dass in der modernen Theologie dies kaum ein Theologe noch unterschreiben würde.
Wenn nämlich eine quasi Verpflichtung zur „Selbstopferung“ bestünde, so wäre die Freiheit und die Verantwortung des Menschen stark beschnitten. Denn nur aus Freiheit und Verantwortung entsteht bewusstes Handeln, zu dem jeder Christ aufgerufen ist.


Feuerbachs Hauptkritik zielt ja letztlich darauf ab, dass der Mensch sich von einem (nach seiner Ansicht erdachten) göttlichen Wesen abhängig mache. Seiner Ansicht nach ist aber das göttliche Wesen vom Menschen abhängig, weil es ja (aufgrund von vor allem psychologischen und philosophischen Gründen) vom Menschen erdacht ist.
Aus meiner Sicht, der eines Theologiestudenten und gläubigen Katholiken, ist das Wort „abhängig“ falsch gewählt.
Weder der Mensch noch Gott ist voneinander abhängig (weder existenziell noch in ihrem Wesen), sondern sie sind einander ZUGEHÖRIG.
Und dieses Wort beinhaltet das, was jedem menschlichen Wesen zu Eigen ist: Freiheit und Verantwortung und somit bewusstes Handeln.

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