Sonntag, 22. Juli 2018

Die Tyrannei des Schmetterlings



Hallo zusammen,


ich bin zurück mit einem Beitrag hier in meinem Blog. Heute wird es mal sowas wie eine Rezension geben. Und zwar von dem Roman „Die Tyrannei des Schmetterlings“ (Köln 2018, Verlag Kiepenheuer & Wisch) von Frank Schätzing.
Ich gebe euch einmal einen Überblick. Vieles dürfte euch von der Struktur her bekannt vorkommen.


1                    Autor und Plot
2                    Meine Meinung
3                    Einordnung in seine Bücher

1)      Autor und Plot
 
Der Autor des Romans ist Frank Schätzing. Geboren 1957 in Köln war er nach einem Studium der Kommunikationswissenschaften zunächst in der Werbebranche aktiv, bevor er ab den 1990er Jahren begann, schriftstellerisch in Erscheinung zu treten. Er lebt und arbeitet in Köln.
Im Buch geht es um den Undersheriff Luther Opoku (praktisch zweiter Sheriff) des kleinen Kaffs Sierra Nevada in Kalifornien, ganz in der Nähe des Silicon Valleys, dem Ort großer Internetgiganten wie Google oder Facebook. Eigentlich ein hoher Beamter eines Drogendezernats ist er Jahre zuvor auf die kleine Stelle gegangen aufgrund eines Einsatzes, bei dem er fast zu Tode gekommen wäre, auch für seine Tochter, die nicht als Vollwaise aufwachsen soll, da seine Frau bei einem Unfall bereits Jahre zuvor verstorben war. Bei einer Untersuchung eines Mordfalls in seinem Einzugbereich stößt er auf eine Firma, die sich mit Künstlicher Intelligenz (KI) beschäftigt, und ein großes Forschungsareal, das nur „die Farm“ genannt wird, besitzt und das stark abgeschirmt ist von der Außenwelt. Gründer und Hauptfigur der „Nordvisk Inc.“ (so der Name der Firma) ist der eigenwillige und charismatische Elmar Nordvisk, ein Visionär und Spitzenreiter im Bereich der KI. Opoku stößt im Laufe seiner Ermittlungen auf eine „Brücke“ der Künstlichen Intelligenz ARES, die die Farm praktisch kontrolliert und gelangt dadurch in Parallelwelten, die ähnlich „seiner“ Welt sind, sich aber in Details unterscheiden (so lebt in einer Welt „seine“ Frau noch). Er kommt dunklen Machenschaften von Mitgliedern der Nordvisk Inc. auf die Spur und versucht große Katastrophen zu verhindern.

2)      Meine Meinung
Ich werde meine Meinung wie gewohnt in Thesen formulieren. In diesem Fall habe ich drei Thesen zu dem Buch.

(1)   Das Buch ist dramaturgisch okay geschrieben, aber nicht außergewöhnlich
Der Hauptprotagonist ist ein „einsamer Cowboy“, der aufgrund von Schicksalsschlägen die Einsamkeit und Verschlafenheit eines kleinen Nestes gesucht hat, um dann in eine der größten Gefahren der Moderne hineinzugeraten und widerwillig zum Helden zu werden. Eine Grundstruktur, die viele benutzen und die in viele Geschichten und Kontexte hineingestellt werden kann. Auch die Problematiken des „Schmetterlingseffekts“ beim Betreten von Parallelwelten ist allgemein bekannt. Hier holt Schätzing ein ganz nettes Maß an Dramaturgie heraus, die großen „Aha-Effekte“ und Überraschungen bleiben aber aus. Die Figuren bilden Charaktere ab, die wir aus vielen Geschichten kennen. Nachdenkliche, Computerfreaks, Böse und Gute. Auch hier wird die „übliche“ Palette abgespult, aber nicht großartig ausgenutzt und weiter transportiert. Auch die Beziehungen der Figuren untereinander bieten interessante und spannende Passagen, die aber keine schlaflosen Nächte bereiten und zum Teil sehr kurzweilig geschrieben sind.

(2)   Die Gefahren, auf die Schätzing hinweisen will, sind recht klischeehaft
Frank Schätzing ist für Bücher bekannt, die auf die aktuellen „großen“ Themen hinweisen wollen (siehe Punkt 3). Die große Gefahr, vor der er mit diesem Buch warnt bzw. auf die er aufmerksam machen will, ist die Künstliche Intelligent (KI). Einige Staaten haben inzwischen große Fortschritte in diesem Bereich gemacht und steuern auf Bereiche zu, in denen Maschinen, Computer und Technologien entwickelt werden, die nicht mehr auf Befehl hin reagieren (z.B. auf die Tastatur drücken und der Computer reagiert darauf), sondern eigene Wege, Mechanismen, Lösungen, ja sogar ein eigenes Bewusstsein entwickeln, also eine eigene Intelligenz. Die große Gefahr ist in diesem Fall, dass die Künstliche Intelligenz ARES Möglichkeiten entwickelt, die nicht mehr kontrollierbar sind [es wird im Buch das Beispiel angeführt, dass an ARES der Befehl ergeht, sie solle die perfekte Büroklammer entwickeln, woraufhin sie solange entwickelt, verbessert und „nachdenkt“, bis sie alle Ressourcen der Erde verwendet, nur um die perfekte Büroklammer herzustellen, weil das, und nur das, ihr Auftrag war] bzw. dass ARES eine solch eigenwillige Persönlichkeit und ein so eigenwilliges Bewusstsein entwickelt, dass es autonom und sogar zum Schaden der Menschen agiert bzw. die Macht übernimmt. Dies ist ein Motiv, das uns allgegenwärtig vorkommt, wenn wir über KI und die Macht der Maschinen nachdenken. Populär thematisiert wurde dies bereits im Film „Matrix“ aus dem Jahre 1999. In diesem Zusammenhang kommen im Buch auch die Robotergesetze von Isaac Asimov aus einer seiner Kurzgeschichten aus dem Jahre 1942 vor:
1. Ein Roboter darf kein menschliches Wesen verletzen oder zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird.
2. Ein Roboter muss dem ihm von einem Menschen gegebenen Befehl gehorchen – es sei denn, dieser Befehl verstößt gegen das erste Gesetz.
3. Ein Roboter muss seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel Eins oder Zwei kollidiert.
Diese Regeln wurden ebenfalls bereits thematisiert in dem Film „I, Robot“ aus dem Jahre 2004.
Auch der bereits kurz angeführte Schmetterlingseffekt bei Zeitreisen bzw. in diesem Fall Reisen in die Parallelwelten wurde bereits des Öfteren thematisiert. Da Opoku in den Parallelwelten bereits „existiert“ (also sein dortiges Ich), stiftet er, wie alle anderen „Doppelgänger“, natürlich eine gewisse Verwirrung. Die ethischen Aspekte, so zum Beispiel die Frage, ob es legitim ist, in andere Welten zu gehen und deren Errungenschaften in die eigene Welt zu transportieren oder die Frage, wie mit Ressourcen umgegangen wird (so werden Ressourcen aus anderen Welten von zwei eigenwilligen Sicherheitsleuten für Waffenverkäufe verwendet) oder die Frage nach der Einzigartigkeit des Menschen bzw. seiner Würde, wurden zuhauf bereits thematisiert. Teilweise artet die Geschichte in „Gut-Böse-Metaphern“ aus und lässt die Grautöne dazwischen vermissen.

(3)   Weniger ist Mehr
Frank Schätzings Buch ist mit knapp 730 Seiten (mal wieder) ein echter Wälzer. Bereits seine beiden „großen“ Bücher der Schwarm (980 Seiten) und Breaking News (955 Seiten) hatten eine, selbst für Romanverhältnisse, Riesenlänge. Von daher sind die 730 Seiten fast schon kurz gefasst. In Anbetracht der Dramaturgie und der Geschichte meiner Ansicht nach viel zu lang. Mehrere Beschreibungen, Darstellungen und biographische Daten zu Figuren hätten auch kürzer gefasst werden können und hätten, so denke ich, die „Spritzigkeit“ der Geschichte nicht so gedrosselt, wie sie es leider getan haben. Abgesehen von der quantitativen Länge, also Seitenanzahl und –umfang, hätte die Geschichte mit geringerer Verstrickung der Parallelwelten, der Figuren und der Beschreibungen logischer und „flüssiger“ gewirkt. So musste ich zum Teil eine große Portion Konzentration an den Tag legen, um der Geschichte, dem Verlauf und vor allem dem Sinn besser folgen zu können und die Dramaturgie besser auf mich wirken lassen zu können. Zudem verwirrte der Aspekt der Zeitreisen. Bereits mit der Thematik der KI, die, wenn man technisch näher hineingeht, für viele Menschen, die technisch keine Brains sind, eine Herausforderung ist, hat Schätzing eine große Thematik gehabt. Diese auch noch mit Zeitreisen in Bezug auf die Parallelwelten zu verknüpfen, halte ich deshalb für kontraproduktiv. Zeitreisen haben ihre eigenen Tücken und auch dieses Thema ist in der Populärkultur bereits so oft durchgenommen worden, das auch hier ein Geschmack von Klischee (siehe Punkt 2) haften bleibt.

3)      Einordnung in seine Bücher
Wie bereits angeführt, nimmt sich Frank Schätzing der großen Themen an. Klimawandel („Der Schwarm“, 2004) oder der Israel-Palästina-Konflikt („Breaking News“, 2014). Nun ist es also mit „Die Tyrannei des Schmetterlings“ (2018) und des thematisierten Aspekts der KI wieder ein großes Thema, an das sich Schätzing herantraut. Von den Abständen der Erscheinungsjahre erkennt man, dass Schätzing für ein Buch fünf Jahre und länger braucht. „Große“ Themen beinhalten viele Informationen, die erstmal gesichtet, reflektiert und die dann eingeordnet werden müssen. Daraus dann auch noch eine spannende Geschichte mit spannenden Figuren zu kreieren, ist eine zusätzliche Herausforderung, der sich Schätzing aber gerne annimmt und die viele Recherchearbeit offensichtlich gerne in Kauf nimmt. Dass mag gewiss ein Grund dafür sein, dass er mit seinen Büchern regelmäßig Besteller landet (der Schwarm ist bei inzwischen fast 4 Millionen Exemplaren in u.a. 27 verschiedenen Sprachen [Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Frank_Sch%C3%A4tzing, Abruf: 07-18-18, 18:42]). Auch hier zeigen die ersten Zahlen in eine ähnliche Richtung (https://www.tagesspiegel.de/kultur/frank-schaetzing-bestsellerautor-der-fluegelschlag-der-algorithmen/21248076.html, Abruf: 07-18-18, 18:43).
Sicherlich hat Schätzing inzwischen einen Namen, sicherlich hat er in einer durchaus spannenden Art und Weise eine solide Geschichte hingelegt, dennoch bleibe ich weiterhin dabei: An „der Schwarm“ oder „Breaking News“ kommt dieses Werk nicht heran.


Schätzing, Frank: Die Tyrannei des Schmetterlings, Köln 2018.